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Interview Putins mit der italienischen Zeitung Corriere della Sera8. Juni 2015 Dagmar Henn 127 Kommentare
auf Grundlage der offiziellen englischen Übersetzung Wladimir Putin, Präsident der Russischen Föderation: Guten Abend. Luciano Fontana: Guten Abend, Herr Präsident. Zuerst würden wir Ihnen gerne für die Gelegenheit danken, heute dieses wichtige Interview mit Ihnen zu führen. Wladimir Putin: Es ist mir ein Vergnügen. Luciano Fontana: Mein Name ist Luciano Fontana. Ich bin der neue Chefredakteur des Corriere della Sera, und mit mir ist hier mein Kollege Paolo Valentino, der lange Zeit in Russland gearbeitet hat und sogar mit einer Russin verheiratet ist. Wladimir Putin: Sie sind der neue Chef der Zeitung? Luciano Fontana: Ja, erst seit einem Monat. Wladimir Putin: Glückwünsche zur Ernennung. Luciano Fontana: Vielen Dank, Herr Putin. Ich würde gerne mit einer Frage beginnen, die die russisch-italienischen Beziehungen betrifft. Diese Beziehungen waren immer eng und privilegiert, sowohl im wirtschaftlichen als auch im politischen Bereich. Sie sind jedoch durch die Krise in der Ukraine und die Sanktionen etwas beschädigt. Könnte der jüngste Besuch des italienischen Premierministers Matteo Renzi in Russland und Ihr bevorstehender Besuch in Mailand diese Tendenz irgendwie ändern, und wenn, was ist dafür nötig? Wladimir Putin: Zerst glaube ich fest, dass Russland für die Verschlechterung der Beziehungen zwischen unserem Land und den EU-Staaten nicht verantwortlich ist. Das war nicht unsere Entscheidung; es wurde uns von unseren Partnern diktiert. Nicht wir haben Handels- und Wirtschaftsbeschränkungen eingeführt. Wir sind vielmehr das Ziel und mussten mit vergeltenden, schützenden Massnahmen darauf antworten. Aber die Beziehung zwischen Russland und Italien war tatsächlich immer privilegiert, sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft. In den letzten Jahren beispielsweise, das heisst, in den letzten paar Jahren, wuchs der Handel zwischen unseren Ländern auf das Elffache, von, wie ich glaube, 4,2 Milliarden Dollar – wir machen Berechnungen in Dollar – auf über 48, fast 49 Milliarden Dollar. Es gibt 400 italienische Unternehmen, die in Russland arbeiten. Wir arbeiten im Energiebereich aktiv zusammen, in einer Reihe von Feldern. Italien ist der drittgrösste Abnehmer unserer Energieressourcen. Eir haben auch viele gemeinsame Technologieprojekte: in der Luft- und Raumfahrtindustrie und vielen anderen Sektoren. Russische Regionen arbeiten sehr eng mit Italien zusammen. Im letzten Jahr hat fast eine Million russischer Touristen, etwa 900 000, Italien besucht. Und während ihres Aufenthalts haben sie über eine Milliarde Euro dort ausgegeben. Wir haben uns im politischen Bereich immer Beziehungen erfreut, die auf Vertrauen beruhten. Die Errichtung des Russland-NATO-Rates geschah auf Initiative Italiens – zu der Zeit war Silvio Berlusconi Premierminister. Dieses beratende Arbeitsgremiom wurde zweifellos ein wichtiger Faktor für die Sicherheit in Europa. In dieser Hinsicht hat Italien immer viel zur Entwicklung des Dialoges zwischen Russland und Europa, und der NATO als Ganzer, beigetragen. Von unserer besonderen kulturellen und humanitären Zusammenarbeit nicht zu reden. All das legt, natürlich, das Fundament für eine besondere Beziehung zwischen unseren Ländern. Und der bevorstehende Besuch des Premierministers in Russland sendet eine sehr wichtige Botschaft aus, indem er zeigt, dass Italien bereit ist, diese Beziehungen zu entwickeln. Es ist nur natürlich, dass dies weder in der Regierung der Russischen Föderation noch in der Öffentlichkeit unbemerkt bleibt. Wir sind natürlich bereit, das zu erwidern und unsere Zusammenarbeit weiter auszudehnen, so lange unsere italienischen Partner bereit sind, das Selbe zu tun. Ich hoffe, dass mein bevorstehender Besuch in Mailand in dieser Hinsicht hilfreich sein wird. Luciano Fontana: Ich würde gerne meine Neugier befriedigen und Ihnen noch eine weitere Frage zu Italien stellen. Sie haben mehrere Vorsitzende des italienischen Minsterrates gekannt – Romano Prodi, Silvio Berlusconi, Massimo D´Alema und Matteo Renzi. Mit wem haben Sie sich am besten verstanden? Und wie viel trägt, Ihrer Meinung nach, das Vorhandensein einer persönlichen Beziehung – wie jener, die Sie mit Silvio Berlusconi hatten – zu den guten Beziehungen zwischen Ländern bei?
Wladimir Putin: Gleichgültig, welche Stellung wir haben oder was unsere Arbeit ist, sind wir immer noch Menschen, und persönliches Vertrauen ist ein sehr wichtiger Faktor bei unserer Arbeit, beim Aufbau vom Beziehungen auf der zwischenstaatlichen Ebene. Einer der Leute, die Sie gerade erwähnt haben, hat mir einmal gesagt, „Du musst die einzige Person sein (also ich sei die einzige Person) – die eine freundschaftliche Beziehung sowohl mit Berlusconi als auch mit Prodi hat.“ Ich kann Ihnen sagen, dass mir das nicht schwer gefallen ist, und ich finde es immer noch nicht schwer, und ich kann Ihnen sagen, warum. Meine italienischen Partner haben stets die Interessen Italiens, des italienischen Volkes, an die erste Stelle gesetzt, und glaubten, dass sie, um den Interessen ihres Landes zu dienen, die politischen und wirtschaftlichen Interessen eingeschlossen, freundliche Beziehungen mit Russland aufrechterhalten müssen. Das haben wir immer verstanden und gefühlt. Das war ein Schlüsselelement, auf dem unsere guten Beziehungen gründeten. Ich habe immer ein wirklich ernstes Interesse an der Entwicklung zwischenstaatlicher Beziehungen wahrgenommen, unabhängig von der inneren politischen Lage. Ich würde in dieser Hinsicht sagen, dass die Haltung, die die Menschen in Russland Italien gegenüber entwickelt haben, nicht davon abhängt, welche Partei an der Macht ist. Paolo Valentino: Herr Präsident, Sie kommen zur Feier des russischen Tages auf der Weltausstellung EXPO 2015 nach Mailand. Das Kernthema der diesjährigen Ausstellung ist „Den Planeten ernähren, Energie für das Leben“. Was ist Russlands Beitrag in dieser Sache? Was bedeutet dieser Einsatz für die Beziehungen zwischen Staaten? Wladimir Putin: Das ist eine der größten Herausforderungen, vor denen die Menschheit heute steht. Ich kann und muss also anerkennen, dasss die italienischen Organisatoren für die Ausstellung eines der Kernthemen gewählt haben. Die Weltbevölkerung wächst. Experten zu Folge wird sie im Jahr 2050 9 Milliarden Menschen umfassen. Aber selbst heute sind, nach den selben Quellen, der UN, 850 Millionen Menschen auf dem ganzen Planeten unterernährt oder hungern, und 100 Millionen davon sind Kinder. Es gibt also keinen Zweifel daran, dass dies eines der Schlüsselthemen unserer Zeit ist. Viele andere Themen, die scheinbar nicht damit verbunden sind, werden davon abhängen, wie wir damit umgehen. Ich rede hier unter anderem von der politischen Instabilitär ganzer Regionen, Terrorismus und so weiter. All diese Probleme sind miteinander verknüpft. Der Anstieg der illegalen Migration, die heute Italien und Europa trifft, ist eines dieser daraus folgenden Probleme. Ich würde gerne wiederholen, dass, aus meiner Sicht, die Organisatoren das Richtige getan haben, in dem sie auf die Notwenigkeit hinweisen, dieses Problem zu lösen. Was den russischen Beitrag angeht, wir wenden dafür über 200 Millione Dollar über UN-Programme auf. Viel Länder auf der ganzen Welt erhalten unter diesen Programmen nötige Unterstützung und Hilfe, unter Nutzung russischer Ressoucen. Wir wenden der Entwicklung der Landwirtschaft in unserem Land grosse Aufmerksamkeit. Trotz aller Schwierigkeiten, denen sich die Entwicklung der russischen Wirtschaft heute gegenüber sieht, ist unser landwirtschaftlicher Sektor, der Sektor der landwirtschaftlichen Produktion, beständig gewachsen – letztes Jahr lag das Wachstum bei 3,4 – 3,5 Prozent. Im ersten Quartal des laufenden Jahres blieb das Wachstum auf dem selben Niveau, über 3 Prozent bei 3,4 Prozent. Russland ist jetzt der drittgrösste Getreideexporteur der Welt. Letztes Jahr hatten wir eine Rekordernte beim Getreide, eine der größten in den letzten Jahren – 105,3 Millionen Tonnen. Schliesslich hat Russland in diesem Bereich riesiges Potential. Ich denke, wir haben die größte Fläche an Ackerland weltweit, und die größten Süßwasserreserven, weil Russland, was das Gebiet betrifft, das größte Land der Welt ist. Paolo Valentino: Danke, Herr Putin. Well wir über die Schatten reden, die auf unsere Beziehungen gefallen sind, sagten Sie, es sei nicht Ihre Entscheidung gewesen, und es gibt die Meinung, dass Russland sich betrogen fühlt, von Europa verlassen, wie ein Liebhaber, der von seiner Mätresse verlassen wurde. Was sind heute die Probleme in unseren Beziehungen? Denken Sie, dass Europa in der Ukraine-Krise zu abhängig war von den Vereinigten Staaten? Was erwarten Sie von Europa in Bezug auf die Sanktionen? Vielleicht habe ich zu viele Fragen auf einmal gestellt. Wladimir Putin: Sie haben sicher eine Menge Fragen gestellt, mit italienischem Gespür. Erst einmal, zur Mätresse. In dieser Art Beziehung mit einer Frau, das heisst, wenn man keine Verpflichtungen eingeht, hat man kein Recht, von seinem Partner irgendwelche Verpflichtung zu verlangen. Wir haben Europa nie als Mätresse gesehen. Ich meine das wirklich ernst. Wir haben immer eine ernsthafte Beziehung vorgeschlagen. Aber jetzt habe ich den Eindruck, dass Europa tatsächlich versucht hat, mit uns eine materiell orientierte Beziehung einzugehen, und nur zu seinem eigenen Vorteil. Da ist das berüchtigte dritte Energiepaket und die Verweigerung des Zugangs unserer Nuklearenergieprodukte zum europäischen Markt, trotz aller bestehenden Übereinkünfte. Die Legitimität unserer Handlungen wird widerwillig anerkannt, und es wird widerwillig mit den Integrationseinrichtungen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion zusammengearbeitet. Ich beziehe mich auf die Zollunion, die wir geschaffen haben, und die nun zur Eurasischen Wirtschaftsunion gewachsen ist. Denn es ist völlig in Ordnung, wenn Integration in Europa passiert, aber wenn wir auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion das Selbe tun, versuchen sie, das mit dem Wunsch Russlands zu erklären, ein Reich wieder herzustellen. Ich verstehe die Gründe für einen solchen Ansatz nicht. Sehen Sie, wir alle, mich eingeschlossen, haben lange über die Notwendigkeit geredet, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok zu errichten. Tatsächlich hat der französische Präsident Charles de Gaulle etwas Ähnliches schon lange vor mir gesagt. Heute widerspricht dem niemand, alle sagen: ja, das sollten wir anstreben. Aber was geschieht in der Praxis? Die baltischen Staaten haben sich beispielsweise der Europäischen Union angeschlossen. Gut, kein Problem. Aber heute wird uns gesagt, diese Länder, die ein Teil des Energiesystems der ehemaligen Sowjetunion und Russlands sind, müssen sich dem Energiesystem der Europäischen Union anschließen. Wir fragen: gibt es irgendwelche Probleme mit der Energieversorgung oder mit irgend etwas Anderem? Warum ist das nötig? – Nein, es gibt keine Probleme, aber wir haben beschlossen, dass das so besser ist. Was heisst das für uns, praktisch gesehen? Es heisst, dass wir gezwungen sind, zusätzliche Energieerzeugungskapazitäten in einigen westlichen Regionen Russlands zu errichten. Da die Energieversorgungsleitungen zwischen einigen russischen Regionen durch die baltischen Staaten verlaufen und umgekehrt, werden sie alle jetzt nach Europa geschaltet, und wir müssen neue Versorgungsleitungen in unserem Land verlegen, um die Versorgung zu sichern. Das wird uns etwa 2-2,5 Milliarden Euro kosten. Schauen wir mal das Assoziationsabkommen zwischen der EU und der Ukraine an. Es verlangt nicht, dass die Ukraine Teil des europäischen Energiesystems wird, aber es wird als möglich angesehen. Wenn das geschieht, müssen wir nicht nur 2-2,5 Milliarden, sondern vermutlich 8-10 Milliarden Euro für den selben Zweck aufwenden. Die Frage ist: warum ist das nötig, wenn wir an einen gemeinsamen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok glauben? Was ist das Ziel der östlichen Partnerschaft der Europäischen Union? Besteht es darin, die gesamte ehemalige Sowjetunion mit Europa in einem einzigen Raum zu integrieren, ich wiederhole ein drittes Mal, von Lissabon bis Wladiwostok, oder etwas abzuschneiden und eine neue Grenze zwischen dem modernen Russland und den westlichen Gebieten einschließlich, sagen wir, der Ukraine und Moldawien zu errichten? Lassen Sie mich noch etwas Anderes sagen, und dann können Sie selbst entscheiden, was Sie veröffentlichen und was sie raus lassen. Was sind die Wurzeln der ukrainischen Krise? Der Grund scheint in einem völligen Missverhältnis zu stehen zu dem, was heute eine völlige Tragödie ist und viele Leben in der Südost-Ukraine gekostet hat. Was hat die Krise ausgelöst? Der ehemalige Präsident Viktor Janukowitsch sagte, er müsse darüber nachdenken, ob er das Assoziationsabkommen der Ukraine mit der EU unterzeichne, müsse möglicherweise einige Änderungen vornehmen und sich mit Russland besprechen, seinem größten Handels- und Wirtschaftspartner. In Verbindung damit oder unter diesem Vorwand brachen Unruhen in Kiew aus. Sie wurden sowohl von unseren europäischen als auch unseren amerikanischen Partnern aktiv unterstützt. Dann folgte ein Staatsstreich – ein völlig verfassungswidriger Akt. Die neuen Machthaber erklärten, dass sie das Assoziationsabkommen unterzeichnen, aber seine Umsetzung bis zum 1. Januar 2016 verzögern würden. Die Frage ist: wofür dann der Staatsstreich? Warum musste die Lage bis zu einem Bürgerkrieg eskaliert werden? Das Ergebnis ist exakt das Gleiche. Mehr noch, Ende 2013 waren wir bereit, der Ukraine einen Staatskredit in Höhe von 15 Milliarden Dollar zu geben, erweitert um zusätzliche 5 Milliarden von Geschäftsbanken; und wir hatten ihr bereits 3 Milliarden Dollar im Laufe des Jahres gegeben und versprochen, die Gaspreise auf die Hälfte des Preises zu reduzieren, wenn sie regelmäßig zahlten. Wir waren ganz und gar nicht dagegen, dass die Ukraine ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union unterzeichnet. Aber natürlich wollten wir an den letzten Entscheidungen beteiligt sein, da die Ukraine damals und bis heute ein Mitglied der Freihandelszone der CIS ist, und wir als ihre Mitglieder wechselseitige Verpflichtungen haben. Wie ist es möglich, das komplett zu ignorieren und es mit völliger Missachtung zu behandeln? Das kann ich einfach nicht verstehen. Das Ergebnis, das wir haben – ein Staatsstreich, ein Bürgerkrieg, hunderte verlorener Leben, eine zerstörte Wirtschaft und soziale Sphäre, ein der Ukraine vom IWF versprochener Kredit von 17,5 Milliarden Dollar über vier Jahre, und ein völliger Verfall der wirtschaftlichen Verbindungen zu Russland. Aber die russische und die ukrainische Wirtschaft sind sehr tief miteinander verwoben. Die Europäische Union hat einseitig ihre Zollgrenzen zur Ukraine aufgehoben. Der Umfang ukrainischer Verkäufe auf den Europäischen Markt ist dennoch nicht angewachsen. Warum? Wel es nichts zu verkaufen gibt. Es gibt auf den europäischen Markt keine Nachfrage nach ukrainischen Produkten, weder, was die Wualität, noch was den Preis angeht, zusätzlich zu den Produkten, die zuvor bereits verkauft wurden. Wir haben einen Markt für die Ukraine, aber viele Verbindungen wurden von der ukrainischen Seite einseitig gekappt. So kommen beispielsweise alle Motoren für unsere Kampfhubschrauber aus der Ukraine. Jetzt sind die Lieferungen gestoppt. Wir haben bereits eine Fabrik in St. Petersburg errichtet, und eine weitere wird noch in diesem Jahr eröffnet, aber die Produktion dieser Motoren in der Ukraine wird geschlossen werden, weil Italien, Frankreich oder Deutschland sie nicht brauchen und nie solche Motoren brauchen werden. Es ist der Ukraine unmöglich, ihre Produktion in irged einer Weise umzustellen; sie bräuchte Milliardeninvestitionen dafür. Ich verstehe nicht, warum das getan wurde. Ich habe viele meiner Kollegen dazu befragt, auch in Europa und Amerika. Paolo Valentino: Und was haben sie geantwortet? Wladimir Putin: Die Situation ist ausser Kontrolle geraten. Wissen Sie, ich würde Ihnen gerne etwas erzählen. Letztes Jahr haben am 21. Februar Präsident Janukowitsch und die ukrainische Opposition eine Übereinkunft unterzeichnet, wie weiter vorgegangen werden solle, wie das politische Leben im Land organsiert werden solle, und über die Notwendigkeit, frühe Wahlen abzuhalten. Sie hätten an der Umsetzung dieser Übereinkunft arbeiten sollen, insbesondere, da drei europäsiche Außenminister diese Übereinkunft als Garanten seiner Umsetzung unterzeichnet haben. Wenn diese Kollegen für den Anschein gebraucht wurden, und keine Kontrolle über die Lage vor Ort hatten, die tatsächlich in den Händen des US-Botschafters oder eines CIA-Residenten lag, dann hätten sie sagen sollen: „Wissen Sie, wir stimmen einem Staatsstreich nicht zu, also werden wir Sie nicht unterstützen; Sie sollten stattdessen gehen und Wahlen abhalten.“ Das Gleiche könnte man über unsere amerikanischen Partner sagen. Nehmen wir einmal an, sie hätten ebenfalls die Kontrolle über die Lage verloren. Aber wenn Amerika und Europa jene, die diese verfassungswidrigen Handlungen begangen haben, gesagt hätten: „Wenn Ihr auf eine solche Weise an die Macht kommt, werden wir Euch unter keinen Umständen unterstützen; Ihr müsst Wahlen abhalten und sie gewinnen“ – (nebenbei, sie hatten eine hundertprozentige Chance zu siegen, jeder weiss das), dann hätte sich die Lage völlig anders entwickelt. Ich glaube also, dass diese Krise willentlich geschaffen wurde und das Ergebnis der unprofessionellen Handlungen unserer Partner ist. Und die Berichterstattung über diesen Prozess war absolut inakzeptabel. Ich würde es gerne noch einmal betonen: das war nicht unsere Entscheidung, wir haben es nicht gesucht, wir wurden schlicht gezwungen, auf das, was geschehen ist, zu reagieren. Zum Abschluss – verzeihen Sie mir diesen längeren Monolog – würde ich gerne sagen, es ist nicht so, dass wir uns getäuscht oder unfair behandelt fühlen. Das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass Beziehungen langfristig gesehen nicht in einer Atmosphäre der Konfrontation, sondern auf dem Geist der Zusammenarbeit errichtet werden sollten. Paolo Valentino:Sie sagen, die Lage sei ausser Kontrolle geraten. Aber ist das nicht der richtige Moment für Russland, die Initiative zu ergreifen, einen Weg zu finden, seine amerikanischen und europäsichen Partner auf der Suche nach einer Lösung für die Lage mit einzubidnen, zu zeigen, dass es bereit ist, sich diesem Problem zu widmen? Wladimir Putin: Das ist genau, was wir tun. Ich denke, heute sind die Dokumente, auf die wir uns in Minsk geeinigt haben, Minsk II, die beste Übereinkunft und vielleicht die einzige unzweideutige Lösung für dieses Problem. Wir hätten ihm nie zugestimmt, hätten wir es nicht für das Richtige gehalten, gerecht und machbar. Für unseren Teil unternehmen wir jede Anstrengung, um die Regierungen der selbsterklärten Republiken Donezk und Lugansk zu beeinflussen, und werden dies auch weiterhin tun. Aber nicht alles hängt von uns ab. Unsere europäischen und US-Partner sollten ihren Einfluss bei der jetzigen Kiewer Verwaltung geltend machen. Wir haben nicht die Macht, die Europa und die Vereinigten Staaten haben, Kiew zu überzeugen, alles, worauf man sich in Minsk geeinigt hat, umzusetzen. Ich kann Ihnen sagen, was getan werden muss, vielleicht nehme ich damit Ihre nächste Frage vorweg. Der Schlüsselaspekt zu einer politischen Lösung war, die Bedingungen für diese gemeinsame Arbeit zu schaffen, aber es war essentiell, die Feindseligkeiten zu beenden und die schweren Waffen zurückzuziehen. Insgesamt ist das geschehen. Unglücklicherweise gibt es immer noch gelegentliche Schusswechsel und es gibt Todesopfer, aber es gibt keine großformatigen Feindseligkeiten, die Seiten wurden voneinander getrennt. Es ist Zeit, die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zu beginnen. Insbesondere muss es eine Verfassungsreform geben, um die autonomen Rechte der nicht anerkannten Republiken zu sichern. Die Kiewer Regierung will das nicht Autonmie nennen, sie ziehen andere Begriffe vor, wie Dezentralisierung. Unsere europäischen Partner, eben jene Partner, die den entsprechenden Absatz in den Minsker Vereinbarungen geschrieben haben, erklärten, was unter Dezentralisierung zu verstehen ist. Sie gibt ihnen das Recht, ihre Sprache zu sprechen, ihre eigenen kulturelle Identität zu haben und Handel über die Grenze zu treiben – nichts Besonderes, nichts, was über das zivilisierte Verständnis der Rechte ethnischer Minderheiten in jedem europäischen Land hinausgeht. Es sollte ein Gesetz über Kommunalwahlen auf diesem Gebiet angenommen werden, und ein Amnestiegesetz. All das sollte, wie die Minsker Abkommen es festlegen, in Übereinstimmung mit der Volksrepublik Donezk und der Volksrepublik Lugansk, mit diesen Gebieten, geschehen. Das Problem ist, dass die jetzige Kiewer Regierung sich nicht einmal zusammensetzen will, um mit ihnen zu reden. Und daran können wir nichts ändern. Nur unsere europäischen und amerikanischen Partner können die Lage beeinflussen. Es ist nicht nötig, uns mit Sanktionen zu drohen. Wir haben damit nichts zu tun, das ist nicht unsere Position. Wir versuchen, die Umsetzung der Minsker Abkommen sicherzustellen. Es ist wesentlich, den wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbau dieser Gebiete zu beginnen. Was ist dort genau passiert? Die jetzigen Kiewer Authoritäten haben sie schlicht vom Rest des Landes abgeschnitten. Sie haben alle sozialen Zahlungen eingestellt – Renten, Unterstützungen; sie haben das Banksystem abgeschnitten, haben eine ordentliche Energieversorgung unmöglich gemacht und so weiter und so weiter. Und alle tun so, als wäre nichts verkehrt. Unsere europäischen Kollegen haben gewisse Verpflichtungen übernommen, insbesondere haben sie versprochen, bei der Wiederherstellung des Banksystems auf diesen Gebieten zu helfen. Wir reden schließlich darüber, was getan werden kann oder muss, und von wem. Ich glaube, die europäische Union könnte der Ukraine sicher größere finanzielle Unterstützung geben. Das sind die Hauptpunkte. Ich möchte betonen, dass Russland daran interssiert ist und danach streben wird, die volle und bedingungslose Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zu sichern, und ich denke nicht, dass es heute einen anderen Weg gibt, diesen Konflikt beizulegen. Übrigens haben die Führer der selbsterklärten Republiken öffentlich erklärt, unter bestimmten Bedingungen – was bedeutet, der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen – wären sie bereit, sich als Teil des ukrainischen Staates zu betrachten. Das ist ein grundlegendes Thema. Ich denke, diese Position sollte als gute Grundlage für den Anfang substantieller Verhandlungen gesehen werden. Paolo Valentino: Sie sagen also, es sei ausser Frage, dass sich das Krim-Szenario in der Ostukraine wiederholt? Wladimir Putin: Wissen Sie, das Krim-Szenario spiegelt nicht die russische Position wieder; es spiegelt die Position der Menschen wieder, die auf der Krim leben. All unsere Handlungen, einschließlich jener, die Gewalt gebrauchten, zielten nicht darauf ab, dieses Gebiet der Ukraine zu entreissen, sondern darauf, den Menschen, die dort Leben, die Gelegenheit zu verschaffen, ihre Meinung auszudrücken, wie sie ihr Leben leben wollen. Ich möchte das noch einmal betonen, wie ich es schon viele Male gesagt habe: wenn dies den Kosovo-Albanern erlaubt wurde, warum ist es den Russen, den Ukrainern und den Krim-Tataren verboten, die auf der Krim leben? Und, nebenbei, die Entscheidung über die Unabhängigkeit des Kosovo wurden nur vom Parlament des Kosovo getroffen, während die Krim auf dem ganzen Gebiet einen Volksentscheid abhielt. Ich denke, ein gewissenhafter Beobachter konnte nicht anders als zu sehen, dass die Menschen fast einmütig für die Wiedervereinigung mit Russland gestimmt haben. Ich möchte all jene fragen, die das nicht anerkennen wollen: wenn unsere Gegner sich Demokraten nennen, würde ich sie gerne fragen, was Demokratie genau bedeutet. Soweit ich weiss, ist Demokratie die Herrschaft des Volkes oder die Herrschaft, die auf dem Willen des Volkes beruht. Die Lösung des Problems der Krim beruht auf dem Willen des Volkes der Krim. In Donezk und Lugansk hat das Volk für Unabhängigkeit gestimmt, und die Lage dort ist anders. Aber die Hauptsache, die wir immer im Sinn behalten müssen, ist, dass wir immer die Gefühle und die Entscheidung des Volkes respektieren müssen. Und wenn j emand will, dass diese Gebiete Teil der Ukraine bleiben, dann sollte er diesen Menschen beweisen, dass ihr Leben in einem einheitlichen Staat besser, comfortabler und sicherer wäre; dass sie im Stande wären, für sich selbst zu sorgen und die Zukunft ihrer Kinder innerhalb dieses Staates zu sichern. Aber es ist unmöglich, diese Menschen mit Waffen zu überzeugen. Diese Fragen, Fragen dieser Art können nur mit friedlichen Mitteln gelöst werden. Paolo Valentino: Wo wir vom Frieden reden, die Länder, die Teil des Warschauer Vertrages waren und heute NATO-Länder sind, fühlen sich von Russland bedroht. Die NATO hat beschlossen, eine Spezialeinheit zu schaffen, um diesen Sorgen zu entgegnen. Meine Frage ist, ob der Westen recht hat mit seiner Entschlossenheit, den „russischen Bären“ zu bändigen, und warum Russland weiter so streitlüstern spricht? Wladimir Putin: Russland spricht mit niemandem streitlüstern, und in solchen Fragen sind es, um eine politische Gestalt der Vergangenheit zu zitieren, Otto von Bismarck, nicht Debatten, sondern Potentiale, die zählen. Was zeigt das aktuelle Potential? Die Militärausgaben der USA sind höher als die aller anderen Länder der Welt zusammen. Die gebündelten Militärausgaben der NATO-Länder betragen das zehnfache, wohlgemerkt – das 10fache der jenigen der Russischen Föderation. Russland hat so gut wie keine Stützpunkte im Ausland. Wir haben Überreste unserer Streitkräfte (aus sowjetischer Zeit) in Tadschikistan, an der Grenze zu Afghanistan, einem Gebiet, in dem die terroristische Bedrohung besonders stark ist. Die selbe Rolle erfüllt unser Luftwaffenstützpunkt in Kirgistan; er dient ebenfalls dazu, die terroristische Bedrohung zu beantworten und wurde auf Ersuchen der kigisischen Regierung eingerichtet, nachdem ein terroristischer Angriff aus Afghanistan auf Kirgistan erfolgte. Wir haben seit sowjetischen Zeiten einen Luftwaffenstützpunkt in Armenien gehalten. Er spielt eine gewisse Rolle bei der Stabilisierung der Region, aber er ist gegen niemanden gerichtet. Wir haben unsere Stützpunkte in den verschiedensten Weltgegenden abgebaut, eingeschlossen China, Vietnam und so weiter. Das heisst, unsere Politik ist in dieser Hinsicht nicht global, offensiv oder aggressiv. Ich lade Sie ein, in Ihrer Zeitung die Weltkarte abzudrucken, und darauf alle US-Militärstützpunkte zu verzeichnen. Sie werden den Unterschied sehen. Manchmal werden ich nach unseren Flugzeugen gefragt, die weit fliegen, über dem atlantischen Ozean. Die Patroullien durch strategische Flugzeuge in entlegenen Regionen haben nur die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten durchgeführt, während des Kalten Krieges. Anfang der 90er haben wir, die modernen Russen, diese Flüge eingestellt, aber unsere amerikanischen Freunde flogen weiterhin unsere Grenzen ab. Warum? Vor einigen Jahren haben wir diese Flüge wieder aufgenommen. Und Sie wollen sagen, dass wir aggressiv waren? Amerikanische U-Boote sind beständig einsatzbereit vor der norwegischen Küste; sie sind mit Raketen ausgerüstet, die Moskau in 17 Minuten erreichen könenn. Aber wir haben all unsere Stützpunkte auf Kuba vor langer Zeit abgebaut, selbst die nicht-strategischen. Und uns nennen Sie aggressiv? Sie haben selbst die NATO-Erweiterung nach Osten erwähnt. Was uns angeht, dehnen wir uns nirgendwohin aus; es ist die NATO-Infrastruktur, einschließlich der militärischen, die sich auf unsere Grenzen hin bewegt. Ist das eine Verkörperung unserer Aggression? Schließlich haben sich die Vereinigten Staaten einseitig vom Vertrag gegen ballistische Raketen zurückgezogen, der zu einem großen Teil ein Eckpfeiler des ganzen internationalen Sicherheitssystems war. Anti-Raketen-Systeme, Stützpunkte und Radar sind auf europäischem Gebiet oder auf See stationiert, z.B. im Mittelmeer und in Alaska. Wir haben schon oft gesagt, dass das die internationale Sicherheit untergräbt. Halten Sie auch das für eine Darstellung unserer Aggression? Alles, was wir tun, ist nur eine Antwort auf die Bedrohungen, die gegen uns entstehen. Ausserdem ist das, was wir tun, massvoll und verhältnismässig, aber dennoch ausreichend für Russlands Sicherheit. Oder hat jemand erwartet, Russland würde sich einseitig entwaffnen? Ich habe unserern amerikanischen Partnern vorgeschlagen, sich nicht einseitig aus dem Vertrag zurückzuziehen, sondern zusammen ein Anti-Raketen-System zu entwickeln, wir drei: Russland, die Vereinigten Staaten und Europa. Aber dieser Vorschlag wurde abgelehnt. Wir sagten damals: „Nun, das ist ein teures System, seine Wirksamkeit ist nicht bewiesen, aber um das strategische Gleichgewicht zu wahren, werden wir unser strategisches Offensivpotential entwickeln, wir werden Systeme entwickeln, die einen Raketenschirm gegen ballistische Raketen überwinden können. Und ich muss sagen, auf diesem Gebiet haben wir bedeutende Fortschritte erzielt. Was die Sorgen mancher Länder über Russlands mögliche aggressive Aktionen betrifft, denke ich, dass nur eine verrückte Person und nur in einem Traum sich vorstellen kann, dass Russland plötzlich die NATO angreift. Ich denke, manche Länder ziehen einfach nur Vorteile aus den Ängsten, die manche Leute Russland gegenüber haben. Sie wollen nur die Rolle von Frontstaaten spielen, damit sie zusätzliche militärische, wirtschaftliche, finanzielle oder sonstige Hilfe erhalten. Daher ist es nutzlos, diese Idee zu unterstützen; sie entbehrt jeder Grundlage. Aber einige mögen daran interessiert sein, solche Ängste zu schüren. Ich kann nur eine Vermutung äussern. Beispielsweise wünschen die Amerikaner keine Annäherung Russlands an Europa. Ich behaupte das nicht, das ist nur eine Hypothese. Nehmen wir an, die Vereinigten Staaten würden gerne ihre Führung in der atlantischen Gemeinschaft behalten. Sie brauchen eine externe Bedrohung, einen äußeren Feind, um das sicherzustellen. Der Iran reicht dafür offensichtlich nicht – diese Bedrohung jagt keine Angst ein, oder nicht genug. Wer kann erschreckend sein? Und dann entfaltet sich plötzlich diese Krise in der Ukraine. Russland ist gezwungen, zu antworten. Vielleicht wurde das absichtlich inszeniert, ich weiss es nicht. Aber wir waren es nicht. Lassen Sie mich ihnen etwas sagen -es gibt keinen Grund, Russland zu fürchten. Die welt hat sich so drastisch geändert, dass sich Leute mit vernünftigem Menschenverstand heute einen solchen großen militärischen Konflikt nicht einmal vostellen können. Wir haben ander Dinge, über die wir nachdenken sollten, das versichere ich ihnen. Paolo Valentino: Aber Sie arbeiten mit den Vereinigten Staaten zusammen, beim Iran, und der Besuch von John Kerry sandte eine weitere Botschaft in diese Richtung aus. Oder irre ich mich? Wladimir Putin: Sie haben recht – das tat er. Wir arbeiten nicht nur bezüglich des iranischen Nuklearprogramms zusammen, sondern auch bei anderen ernsten Themen. Trotz des amerikanischen Rückzugs vom ABM-Vertraggeht unser Gespräch über Waffenkontrolle weiter. Wir sind nicht nur Partner; ich würde sagen, im Umgang mit Fragen die Nichtweitergabe von Massenvernichtungswaffen betreffend sind wir Verbündete. Wir sind zweifellos Verbündete im Kampf gegen den Terrorismus. Es gibt noch andere Gebiete der Zusammenarbeit. Das zentrale Thema der Expo Mailand, das Sie vorhin erwähnt haben, ist noch ein anderes Beispiel unserer gemeinsamen Arbeit. Tatsächlich gibt es heute eine Menge Themen, die wir weiter gemeinsam angehen. Paolo Valetino: Herr Putin, am 9. Mai gedachte Russland des 70. Jahrestags des Großen Sieges, der sowohl Ihr Land als auch ganz Europa vom Nazismus befreite. Kein anderes Land zahlte einen so blutigen Preis dafür wie Russland. Dennoch gab es keine westlichen Führer neben Ihnen auf dem Roten Platz. Der Corriere della Sera hat einen Brief Silvio Berlusconis veröffentlicht, in dem diese Führer für ihre Abwesenheit kritisiert wurden. Ich habe zwei Fragen, die damit verbunden sind. Denken Sie, dass ihre Abwesenheit eine Missachtung des russischen Volkes zeigte? Was bedeutet die Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg heute für die russische Identität? Wladimir Putin: Es ist keine Frage der Identität. Identität beruht auf Kultur, Sprache und Geschichte. Dieser Krieg ist eine tragische Seite in unserer Geschichte. Wenn wir solche Tage begehen, festlich, aber auch traurig angesichts der Zahl der Leben, die in diesem Krieg verloren wurden, dann denken wir an die Generation, die unsere Freiheit und Unabhängigkeit möglich machte, an jene, die über den Nazismus triumphierten. Wir denken ebenfalls an die Tatsache, dass niemand das Recht hat, diese Tragödie zu vergessen, zuallererst, weil wir daran denken müssen, wie wir die Wiederholung etwas Ähnlichen in der Zukunft vermeiden können. Das sind nicht nur Worte; das ist keine unbegründete Furcht. Heute hören wir, wie manche Leute beispielsweise sagen, so etwas wie den Holocaust hätte es nicht gegeben. Wir sehen Versuche, die Nazis und ihre Kollaborateure zu verherrlichen. Das ist ein Teil unseres heutigen Lebens. Der heutige Terrorismus in all seinen unterschiedlichen Manifestationen ist dem Nazismus sehr ähnlich; tatsächlich gibt es kaum einen Unterschied zwischen ihnen. Was die Kollegen angeht, die Sie erwähnt haben, es ist natürlich ihre persönliche Entscheidung, ob sie nach Moskau kommen, um an den Feiern teilzunehmen, oder nicht. Ich denke, es ist ihnen nicht gelungen, über die gegenwärtige Komplexität in den internationalen Beziehungen hinauszublicken, auf etwas weit Wichtigeres, das nicht nur mit der Vergangenheit verbunden ist, sondern auch mit der Notwendigkeit, für unsere gemeinsame Zukunft zu kämpfen. Sie haben ihre Wahl getroffen, aber dieser Tag ist zuallererst und vor allem unser Feiertag. Sehen Sie, es waren Veteranen aus einer ganzen Reihe von Ländern in Moskau: aus den Vereinigten Staaten, aus Großbritannien, Polen und anderen europäischen Ländern. Tatsächlich sind diese Leute die wahren Helden dieses Tages, und das war uns sehr wichtig. Während dieser Feiern haben wir nicht nur jene geehrt, die in der Sowjetunion den Nazismus bekämpften; wir haben ebenso der Widerstandskämpfer in Deutschland selbst gedacht, in Frankreich und in Italien. Wir gedachten ihrer aller und erwiesen allen Menschen, die sich selbst im Kampf gegen den Nazismus nicht schonten, unsere Achtung. Sicher, wir verstehen nur zu gut, dass es die Sowjetunion war, die den entscheidenden Beitrag zum Sieg leistete und die die schwersten Verluste erlitten hat. Es ist für uns mehr als einfach ein militärischer Sieg, es ist ein moralischer Sieg. Sehen Sie, so gut wie jede Familie hat jemanden in diesem Krieg verloren. Wie können wir das vergessen? Das ist unmöglich. Paolo Valentino: Es sind noch ein paar kurze Fragen übrig. Wladimir Putin: Ich hoffe, sie sind tatsächlich kurz. Luciano Fontana: Sie sind in Russland ein sehr popularer Staatsmann, aber in anderen Ländern und selbst in Ihrem eigenen werden Sie oft autorität genannt. Warum ist es so schwierig, in Russland Teil der Opposition zu sein? Wladimir Putin: Was ist daran so schwierig? Wenn die Opposition beweist, dass sie mit den Herausforderungen umgehen kann, denen sich ein Distrikt, eine Region oder gar das ganze Land gegenüber sieht, dann werden die Leute das, denke ich, immer bemerken. Die Zahl der Parteien in unserem Land hat sich vervielfacht, in den letzten Jahren haben wir den Prozess, eine Partei zu gründen und auf regionaler und nationaler Ebene zu etablierern, liberalisiert . Es geht vor allem um ihre Kompetenz und Fähigkeit, mit der Wählerschaft zu arbeitem, mit dem Volk. Paolo Valentino: Warum werden dann Mitglieder der Opposition so selten von den wichtigen russischen Fernsehsendern interviewt? Wladimir Putin: Ich denke, wenn sie etwas Interessantes zu sagen haben, werden sie öfter interviewt. Was den politischen Wettbewerb angeht, wissen wir, das unterschiedliche Mittel gegen politische Rivalen eingesetzt werden. Man sehe sich nur die jüngste Geschichte Italiens an. Paolo Valentino: Herr Präsident, Griechenland sieht sich vor enormen Schwierigkeiten in seinen Beziehungen mit Europa. Falls Griechenland die Eurozone verlässt, wäre Russland bereit, ihm politische und wirtschaftliche Hilfe anzubieten? Wladimir Putin: Wir entwickeln unsere Beziehungen zu Griechenland unabhängig davon, ob es Mitglied der EU, der Eurozone oder der NATO ist. Wir haben sehr enge historische und gute partnerschaftliche Beziehungen mit Griechenland, weshalb es am griechischen Volk liegt, souverän zu entscheiden, welcher Union und Zone es angehören will. Aber wir wissen nicht, was in der Zukunft geschieht, also wäre es falsch oder sogar schädlich sowohl für die griechische wie für die europäische Wirtschaft, wenn wir, wie die Redewendung lautet, im Kaffesatz lesen wollten. Eine Wirtschaft wie die griechische hat gewisse Schwierigkeiten, die aus den gemeinsamen europäischen Regeln resultieren. Sie können die Drachme nicht abwerten, weil sie sie nicht haben, sie sind streng an die Währung Euro gebunden. Ihre Grenzen sind völlig offen für europäische Waren, was den exportorientierten Wirtschaften einen entscheidenden Vorteil verschafft. Gemeinsame Entscheidungen werden bezüglich solcher Sektoren wie Landwirtschaft und Fischerei getroffen, in denen Griechenland gewisse Wettbewerbsvorteile haben könnte, aber dort gibt es ebenfalls Begrenzungen. Ein weiterer Sektor, auf dem es einen Vorteil hat, ist der Tourismus, natürlich, aber es gehört zur Schengen-Zone, und dort sind ebenfalls einige Begrenzungen. Wir haben eine Übereinkunft zur Visafreiheit mit der Türkei, und 5 Millionen russische Touristen haben dieses Land letztes Jahr besucht, während weniger als eine Million Griechenland besuchte, etwa 300 000, soweit ich weiss. Griechenland erhält jedoch konzessionäre Kredite, finanzielle Unterstützung aus dem europäischen Haushalt, und es hat Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt. Es gibt also andere Vorteile, ein Teil der europäischen Familie zu sein. Es ist nicht an uns hier in Russland, zu entscheiden, was für Griechenland nützlicher und vorzuziehend ist. Noch einmal, es ist am griechischen Volk, eine souveräne Entscheidung zu treffen, im Dialog mit ihren wichtigen europäischen Partnern. Paolo Valentino: Ich würde gerne zwei letzte kurze Fragen stellen. Wladimir Putin: Bleiben wir hier bis zum Morgen? Paolo Valentino: Wir sehen hier in diesem Raum vier russische Kaiser. Welche historische Gestalt inspiriert Sie am meisten? Wladimir Putin: Wissen Sie, die Leute stellen mir oft diese Frage. Ich ziehe es vor, auszuweichen, weil die Antwort Anlass zu unterschiedlichen Deutungen gibt. (lacht) Also will ich es so sagen: Ich versuche, niemanden zu idolisieren. Ich versuche, oder vielmehr, ich werde von den Interessen des russischen Volkes in meiner Arbeit geleitet, berücksichtige alles, was zuvor angesammelt wurde und die Bedingungen, unter denen wir heute leben, und versuche, einen Blick auf die Art zu erhaschen, wie wir unser Leben, unsere Wirtschaft und unsere Politik errichten sollten – zuerst und vor allem unsere Innenpolitik – wie auch unser Aussenpolitik in der mittleren und langfristigen strategischen Perspektive. Es gibt viele gute Beispiele, sowohl in der russischen und der europäischen, als auch in der Weltgeschichte. Aber all diese Leute lebten und arbeiteten unter bestimmten Bedingungen. Das Wichtigste ist, ehrlich zu sein, mit sich selbst und mit den Leuten, die einem diese Arbeit anvertraut haben. Luciano Fontana: Eine letzte Frage. Was bedauern Sie am Meisten in ihrem Leben? Was halten sie für einen Fehler, den Sie nie wieder wiederholen wollen? Wladimir Putin: Ich will mit Ihnen ganz offen sein. Ich kann mich an nichts derartiges erinnern. Durch die Gnade Gottes habe ich nichts in meinem Leben zu bereuen. Frage: Sie sind ein glücklicher Mensch. Wladimir Putin: Das bin ich, Gott.sei Dank.
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